NEIN zum Gesetzesentwurf RISG !!!!

Chemnitz, 27.08.2019

Herr Spahn verdient ironischerweise einen Orden, für seinen Gesetzesentwurf zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung – kurz „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz-RISG“. Auf den ersten Blick klingt alles sehr gut und vielversprechend – Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Wenn man sich die ganze Sache mal etwas näher anschaut und dann auch den Inhalt verstanden hat, sieht es schon ganz anders aus. Mit diesem Gesetzesentwurf würde die außerklinische Intensivpflege völlig neu geregelt und um den betroffenen Mensch geht es dann nicht mehr. Und so hat er es mit diesem Gesetzesentwurf wie wohl kein anderer Politiker geschafft, innerhalb kürzester Zeit eine Hundertschaft von Menschen mit Beeinträchtigungen, welche auf Beatmungsunterstützungen angewiesen sind, deren Angehörige und Freunde gegen sich aufzubringen.

Dieser Gesetzesentwurf widerspricht allen Intentionen eines freien und demokratischen Landes und stellt sich vehement gegen das Grundgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention!

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und „Jeder Mensch besitzt unabhängig von seinen Beeinträchtigungen Wahlmöglichkeiten, wie, wo und mit wem man leben möchte“ sind exemplarische Auszüge von Rechtsansprüchen für alle Bürgerinnen und Bürger mit Beeinträchtigung! Das scheint Herrn Spahn wohl in seiner Euphorie abhandengekommen zu sein. In Interviews bezieht Herr Spahn nicht klar Stellung zu seinem Gesetzesentwurf, sondern umfährt das von vielen Verbänden angesprochene Problem dieses Entwurfs und erklärt stattdessen lediglich an verschiedenen Stellen, dass es um diejenige ginge, die 24 Stunden, sieben Tage die Woche Intensivpflege brauchen. Jedoch ist dies im Gesetzesentwurf anders formuliert. Dort steht, dass es für Menschen mit besonders hohem Bedarf an medizinischer Behandlungspflege gelten soll. Über diese Menschen entscheidet dann irgendein Sachbearbeiter?

Hier fragt man sich – Herr Spahn, haben Sie schon einmal ins Grundgesetz geschaut oder kennen Sie die UN-Behindertenrechtskonvention? Und vor allem, wie stellen Sie sich das ganze vor?

Auch im Hinblick auf den täglich proklamierten „Pflegenotstand“ gleichen Herrn Spahns Vorstellungen einer Heimunterbringung aller Betreffenden wohl eher einem makabren Scherz und wären wohl gerade noch als amüsant anzusehen, wenn man hier nicht von lebenden und wie es das Gesetz ja schön formuliert (be-)atmenden Menschen spricht. Menschen, die Träume, Wünsche, ein Leben genau wie Herr Spahn führen und besitzen und lediglich auf Grundlage einer Erkrankung „weggesperrt“ und isoliert werden sollen! Was ist daran menschlich? Nichts, aber auch gar nichts!

In diesem Sinne sagen auch wir von „mitMENSCHen Community für persönliches Budget und Assistenz“ ganz klar NEIN zu diesem Entwurf!!!!

Das Gesetz beschneidet ganz klar die eigene Freiheit von Menschen mit Beeinträchtigungen! In diesem Sinne: „Es lebe die Inklusion!“

Und Inklusion, Herr Spahn, ist bekanntlich ein Menschenrecht! Jeder Mensch hat das Recht darauf, dabei zu sein. In der UN-Behindertenrechtskonvention ist das Recht auf Inklusion festgeschrieben. Und die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein Vertrag, den viele Länder unterschrieben haben. AUCH DEUTSCHLAND!

Denn wie sagte Richard von Weizäcker schon in seiner Weihnachtsansprache von 1987:

„Nicht behindert zu sein, ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann“.

Offener Brief von Madlen Leuschel zum RISG-Entwurf

 

Erlau, 27.09.2019

Mein Name ist Madlen Leuschel,

ich bin 38 Jahre, habe eine nicht 100% sichergestellte Diagnose, aber es läuft auf eine spinale Muskelatrophie hinaus und ich lebe selbst in der Nacht mit einer Beatmung.

Madlen Leuschel (Foto: Privat)

Wo mich dieses Schicksal gesundheitlich noch hinführt, möchte ich mir noch nicht ausmalen, aber fest steht wohl, es wird nicht besser werden.

Ich bin ein lebensfroher Mensch und versuche trotz meines Schicksals, mein Leben so normal wie mir nur möglich zu gestalten und zu leben.

Doch leider werden uns beeinträchtigten Menschen von der Regierung von klein auf immer wieder (menschenunwürdige) Steine in den Weg gelegt. Ob es um Inklusion in meiner Schulzeit ging – man wurde ziemlich schnell in Sonderschulen abgeschoben oder auch darum, dass man sehr schwer Zugang zum 1. Arbeitsmarkt erhält. Und oft dann die WfbM die einzige Alternative ist. Man macht es halt, denn zu einem normalen Alltag gehört eine Arbeit.

Man fragt sich allerdings oft, wofür tut man sich das an? Denn das Gehalt ist alles andere als angemessen, trotz dass man 7 Stunden täglich von verschiedenen Firmen Akten protokolliert, scannt und archiviert! Eine sehr anspruchsvolle Arbeit für einen Hungerlohn. Und obendrein lässt die Menschlichkeit in einer WfbM oft sehr zu wünschen übrig und es herrscht teils eine unschöne Umgangsweise.

All das ist man ja schon gewohnt und man lernt halt damit umzugehen.

Doch wie kommt bitte Herr Spahn jetzt auf solch einen Gesetzesentwurf zum Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG)? Wer hat das Recht, wieder so krass über das Leben von beeinträchtigten Menschen zu entscheiden?

Ich frage mich die ganze Zeit, was passieren würde, wenn Herr Jens Spahn von heut auf morgen in solch eine Situation kommen würde, wo er rund um die Uhr beatmet werden müsste? Vergessen diese Menschen, das auch sie von heut auf morgen schwer beeinträchtigt sein könnten? Ohne Selbstverschulden! Gilt dieses Gesetz dann auch für jene, die diesen mehr als menschenunwürdigen Schwachsinn beschlossen haben?

Herr Spahn beantworten Sie mir oder uns doch bitte zwei Fragen: Würden Sie so leben wollen??? Würden Sie so ein Leben für Ihre Familie wollen? Wo Pflegenotstand herrscht, oder Gewalt in Krankenhäusern und Einrichtungen!

Das ist nicht Menschenwürdig!!!

Oder wären Sie dann ein Ausnahmefall? Logisch wären Sie, Herr Spahn ein Ausnahmefall! Denn Sie können sich, für sich und Ihre Angehörigen, private Pflegekräfte leisten.

Doch wer auf staatliche Finanzen angewiesen ist, der hat wohl leider kein Wahlrecht. Uns werden Steine in den Weg gelegt und Knüppel zwischen die Räder geschmissen, weil man eben nicht einfach mal in die eigene Tasche greifen und sich leisten kann, was man nur mag.

Man sollte zum Beispiel lieber mal anfangen über die Steuerverschwendungen nachzudenken, denn mit diesen Geldern könnte so viel Gutes getan werden.

Aber ich finde, das jetzt wieder diktiert wird wo und wie wir zu leben haben, geht echt überhaupt nicht!

Ich kann die Menschen vollkommen verstehen, die sagen, sie möchten dann lieber sterben, als ihr „Leben“ im Heim festgehalten und aussortiert zu werden! Ich glaube Wut und Angst was gerade entsteht, ist kein Ausdruck!

Wir fordern auch hier Selbstbestimmung und Wahlfreiheit, einfach Freiheit, einfach genauso, wie es in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben steht. Und diesen Vertrag, Herr Spahn, hat auch die Bundesrepublik Deutschland unterschrieben. Und diese Konvention ist bereits 2009 in Kraft getreten.

Besuchen Sie all diese Menschen zuhause, schauen Sie sich Ihr Leben an. Schauen Sie, wo wir uns jeden Tag Normalität und Menschenwürde erkämpfen und versuchen unser Leben so normal wie nur möglich, mit Spaß durch Selbstbestimmung, zu leben. Eben unser Leben, mit unseren Entscheidungen nach unseren Vorstellungen, Belangen und Wünschen.

Nehmen Sie gern auch meine Einladung an.

Mit freundlichen Grüßen

Madlen Leuschel

mitMENSCHen – Community für persönliches Budget und Assistenz

Schreibe einen Kommentar